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Nachtfahrt nach Manhattan

»Brooklyn Bridge«.
»Brooklyn Bridge« bei Nacht vor der gigantischen Kulisse
der hell erleuchteten »Downtown«.


Mo, 27. Mai

Das Innere des »John F. Kennedy-Airport« macht einen sterilen Eindruck - wenigstens raucht hier niemand. Wir gehen, wie schon in Frankfurt, endlose Gänge entlang. Um schneller voranzukommen benutzen wir Rollwege, »waagerechte Rolltreppen«. Nach einigen Minuten gelange ich mit den anderen in eine große Halle, die schon voller Menschen ist - alle aus unserer Maschine. Nachdem wir uns in Zweierreihe aufgestellt haben, werden wir den einzelnen Schaltern »zugewiesen«.

Ein Mann dirigiert uns: »...go to counter 1. The next. Go to counter two.« Mein Abfertigungsschalter hat die Nummer 16. Eine Farbige nimmt meine Papiere entgegen und teilt mir mit, daß das Einreiseformular falsch ausgefüllt ist. Der Inhalt stimmt zwar, steht aber in den falschen Spalten - ich muß wieder zurück. Ich schreibe alles nochmal neu und stelle dabei fest, daß ich nicht der einzige bin. Mit meinem neu ausgefüllten Formular gehe ich gleich wieder an den Schalter, denn es stehen immer noch ca.150 Leute in der Schlange. Diesmal ist alles in Ordnung, ich kann passieren. Von nun an ziert ein Stempel meinen Reisepaß.

U.S. IMMIGRATION
New York. N.Y. 2274
MAY 26 1996

Erst jetzt bin ich offiziell in den USA. Ein weiterer Gang - der wievielte schon? Mein Koffer steht schon neben dem Gepäcktransportband. Ich nehme ihn und gehe dem Ausgang entgegen. Doch noch eine Kontrolle: der Zoll! Sie wollen wissen, ob ich den von mir in der Zollerklärung angegebenen Geldbetrag bei mir habe. Ich bejahe: »Yes, in cash and in traveler checks.« Sie sind zufrieden und ich kann weitergehen. Endlich komme ich in die Haupthalle des Flughafens.

Wie ein Spalier stehen rechts und links, von mir durch ein niedriges Gitter zurückgehalten, einige hundert Menschen. Es sind Freunde, Verwandte, Bekannte der Ankommenden oder einfach bloß Zaungäste. Der Flughafen scheint zu jeder Zeit ein beliebter Treffpunkt zu sein, es ist jetzt immerhin schon 00.45 Uhr Ortszeit. Zu Hause ist es sechs Stunden später, die Nacht schon fast wieder vorbei.

Nach kurzer Umschau entdecke ich einige Reisende, die Gepäck mit demselben Kofferanhänger wie ich haben. Ich stelle mich dazu. Erst jetzt habe ich die Gelegenheit zu sehen, wer eigentlich zu meiner Reisegruppe gehört. Außer mir, scheint niemand allein den Sprung über den »großen Teich« gewagt zu haben. Ich entdecke drei Paare, zwei junge Mädchen die beieinanderstehen, einen Vater mit seinem Sohn, eine dreiköpfige Familie...
Meine Mitreisenden kommen, bis auf zwei Paare, alle aus Ostdeutschland. Mehrere sogar aus Sachsen. Das Alter: zwischen 18 und 60. Manches erfahre ich natürlich erst später, aber zum besseren Verständnis bringe ich es schon an dieser Stelle.

Die Unterhaltung kommt nicht recht in Gang, fast alle sind müde. Immerzu laufen Leute mit Schildern an uns vorbei, sie warten offensichtlich auf ankommende Passagiere. Einer, wahrscheinlich ein Russe, hat uns schon zum fünften Mal sein Schild mit der Aufschrift »Igor« präsentiert. Er sieht ebenfalls ziemlich erschöpft aus.

Auf einmal »schwebt« ein anderes Schild mit dem Namen des Reiseunternehmens, bei dem ich gebucht habe, über der Menge. Eine freundliche, schon etwas ältere Dame drängt sich zu uns durch. Wie wir erfahren, ist es unsere Reiseleiterin. Sie bittet uns mitzukommen. Wir verlassen den Flughafen, überqueren die Straße davor und steigen, nachdem der Fahrer unser Gepäck verstaut hat, in einen bereitstehenden Reisebus, auf dem »Skyliner« zu lesen ist. Es ist jetzt ¾2 Uhr morgens. Unser Busfahrer, Manny heißt er, ist ein ewig lächelnder Asiate. Als wir alle Platz genommen haben, stellt sich unsere Reiseleiterin kurz vor. Sie stamme ursprünglich aus Deutschland, lebe aber mittlerweile schon seit 37 Jahren in den Vereinigten Staaten. Zuerst in Dallas-Texas, seit nunmehr zehn Jahren schon in New York. Sie war während der ganzen Zeit noch nicht wieder in Deutschland. Sie vermisse es auch nicht...

Nach der kurzen Vorstellung stellt sie fest, ob auch alle da sind. Fazit: es fehlen drei. Wohl oder übel muß sie im Flughafen auf die Suche gehen. Ich beobachte in der Zwischenzeit, wie eine alte farbige Frau einen mit Lumpen beladenen Kinderwagen an einer »Limo«, das ist eine Luxuslimousine mit Überlänge, vorbeischiebt - Gegensätze...

Nach zehn Minuten ist unsere Reiseleiterin mit den Vermißten wieder zurück. Es ist die dreiköpfige Familie: Mutter, Vater und Tochter. Als sie in den Bus einsteigen, werden sie mit Beifall begrüßt. Jetzt kann sie endlich beginnen, die Fahrt nach Manhattan. Jetzt um 2.10 Uhr Montag morgens...

Der Bus hat eine Klimaanlage und ist auch sonst sehr komfortabel. Die Federung ist extrem weich, man sitzt wie auf einer Couch.
Zuerst gibt es nicht allzuviel zu sehen. Unsere Reiseleiterin informiert uns daher über das heutige Programm, welches eigentlich das von Morgen sein sollte. Wir werden wenig Zeit zum Schlafen haben denn für 9.00 Uhr, das ist in reichlich sechs Stunden, ist schon die erste Stadtrundfahrt geplant. Mit der kurzfristigen Änderung des Termins war das Busunternehmen nicht einverstanden und so werden wir wohl oder übel eine kurze Nachtruhe haben. In New York schläft man nicht, sagt unsere Reiseleiterin...

Der »JFK-Airport« liegt in »Queens«, einem der fünf Stadtteile von New York City. Die Fahrt zum Hotel im Herzen Manhattans wird ungefähr 50 Minuten dauern. Der Verkehr ist nicht allzu dicht, es wird allgemein sehr zügig gefahren. Die Straßen sind sechs- bis achtspurig. Oft über- oder unterqueren wir andere Straßenzüge. Selten gibt es eine wirkliche Kreuzung; der Verkehr wird in die Tiefe bzw. Höhe umgeleitet - wirklich eindrucksvoll.

Links und rechts unserer Straße Häuser, vereinzelt ist schon ein »Wolkenkratzer« zu sehen. Die meisten der Fahrzeuge denen wir begegnen sind Taxis, sogenannte »Yellow Cabs«.

Unsere Reiseleiterin klärt uns über die Modalitäten des Eincheckens im Hotel auf. Sie beschränken sich hauptsächlich auf den Gepäcktransport und den Empfang der Zimmerschlüssel, alles andere ist schon geregelt. Dann teilt sie uns noch Ort und Zeit unserer nächsten Zusammenkunft mit: gegen ¾9 Uhr in der Lobby des Hotels.

Reichlich eine halbe Stunde ist inzwischen seit unserer Abfahrt vom Flughafen vergangen. Die Häuser werden allmählich immer höher, es ist nicht zu übersehen, daß wir uns Manhattan nähern. In der Ferne taucht eine der vielen Brücken auf, die Manhattan mit dem Umland verbinden. Als wir näherkommen, erkennt man die riesigen Dimensionen des Bauwerkes, obwohl der »East River« hier nur etwa 600 Meter »schmal« ist.

Unverhofft taucht die Skyline von Manhattan auf - im Bus wird es ganz still. Es ist ein atemberaubender Anblick - Manhattan bei Nacht. Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst sehen soll, die Müdigkeit ist für den Moment vergessen. Da ist die gewaltige, hell erleuchtete Brücke, die wir jetzt überqueren. Da sind die Wassermassen des East River tief unter uns, der sich unweit von hier mit dem Ozean vereinigt. Da ist die Hauptattraktion von Manhattan, die oft im Film gesehenen und dennoch unvorstellbaren Gebäude. Die wuchtigen, riesengroßen und doch irgendwie elegant wirkenden Wolkenkratzer. Alles ist hell erleuchtet, die Lichter der Brücke spiegeln sich im dunklen Wasser, die Fenster der Wolkenkratzer strahlen in die Nacht hinaus. Ja, die Nacht selbst scheint zu leuchten...

Es ist eine unvorstellbare Kulisse. Schon jetzt kann ich verstehen, was die Faszination dieser Stadt ausmacht.
Unsere Reiseleiterin macht uns auf die bekanntesten Gebäude aufmerksam: das »Empire State Building«, das »World Trade Center« mit seinen Zwillingstürmen, das »Chryslerbuilding«. Dazwischen Hunderte, vielleicht Tausende andere mehr oder weniger eindrucksvolle »Skyscraper«.

Inzwischen sind wir selbst in Manhattan. Die Häuser, hoch wie Türme, zu beiden Seiten. Obwohl wir auf der breiten Straße ziemlich in der Mitte fahren, gelingt es mir trotz aller Bemühungen nicht ein einziges Mal, ein Gebäude in seiner ganzen Höhe zu sehen.

Auf den Straßen ist es ziemlich ruhig. Kunststück, um diese Zeit - es ist mittlerweile nach 3.00 Uhr. Außerdem ist Feiertag, »Memorial Day«. Der Tag, an dem der Gefallenen gedacht wird.

Unsere Reiseleiterin macht uns darauf aufmerksam, daß wir gerade am »Empire State Building« vorbeifahren. Ich kann aus dem Busfenster nur bis zur 5.Etage sehen, die »restlichen« 97(!) Stockwerke bleiben mir verborgen.

Unser Fahrer biegt in eine breite Straße, die »7th Avenue« ein. Noch ein paar hundert Meter, dann hält er vor einem großen Gebäude mit einem Säulenportal. Wir sind bei unserem Hotel, dem »Best Western Hotel Pennsylvania«, angelangt. Der »Porter« (Gepäckträger) kümmert sich gemeinsam mit dem Busfahrer um unser Gepäck.

Wir betreten das Hotel durch eine Drehtür und versammeln uns um unsere Reiseleiterin, um die Zimmerschlüssel in Empfang zu nehmen. Es sind elektronische, Telefonkarten ähnelnde Schlüssel.

Jeder hat es jetzt eilig auf sein Zimmer zu kommen, wir treffen uns schließlich schon in fünf Stunden wieder. Trotzdem nehme ich mir die Zeit und sehe mich etwas um. Die Lobby des Hotels ist sehr groß, die Einrichtung auf den ersten Blick luxuriös: Mit Spiegeln verkleidete Säulen, holzgetäfelte Wände, der Boden mit Teppichen ausgelegt. Eine Stuckdecke, an der Kronleuchter hängen. Viel Gold ist zu sehen: die Einfassungen der Spiegel, Zierleisten usw.. In der Mitte der Lobby steht ein großer Marmortisch mit Blumenkübeln. Im Kreis um die Blumen herum stehen Computer, mit denen man sich gegen Bezahlung die Zeit vertreiben kann. Außerdem können wichtige Infos, das Hotel betreffend abgerufen werden.

Im Hintergrund der Lobby befindet sich eine Gaststätte. Nicht die einzige, wie ich später feststelle.
Die Mitglieder meiner Reisegruppe nehmen ihr Gepäck und gehen in Richtung Fahrstuhl. Ich tue es den anderen gleich. Das Hotel hat über 1.700(!) Zimmer. Meine Zimmernummer ist »390«, also dritte Etage. Vor dem Zugang zu den Fahrstühlen sitzt ein Mann vom hauseigenen Sicherheitsdienst, der aber in dem allgemeinen Chaos, es ist inzwischen noch eine Reisegesellschaft angekommen, seiner Aufgabe kaum gerecht werden kann. Es befinden sich etwa 200 Leute in der Lobby und alle wollen zu den Fahrstühlen. Glücklicherweise gibt es gleich zwölf davon. Trotzdem dauert es eine Weile, bis ich mich und meinen Koffer in einem untergebracht habe.

In der dritten Etage steige ich aus und suche mein Zimmer. Nachdem ich etliche Korridore durchquert und ein paarmal links- bzw. rechts abgebogen bin, stehe ich endlich vor der Tür mit der Nummer 390. Ich schiebe meine Chipkarte in das Messingschloß, um die Tür zu öffnen - leider geht es nicht. Es dauert eine Weile bis ich mitbekomme, daß sich die Tür erst öffnen läßt, wenn die Karte wieder herausgezogen wird.

Das Zimmer ist nicht groß, aber relativ komfortabel: ein Schreibtisch, Doppelbett, Nachtschrank, 2 Stühle und drei Lampen. Außerdem Farbfernseher und die in Amerika obligatorische Klimaanlage. Das Bad ist sauber und komplett eingerichtet, inklusive Badewanne.

Nachdem ich die Schuhe ausgezogen habe, befreie ich zuerst meinen »Reisegefährten«, einen Plüschpinguin mit Schal und Mütze genannt »Pingu«, aus seinem Kofferversteck. Er hat dort als »blinder Passagier« den Flug über den Atlantik mitgemacht.

Als ich meine Sachen verstaut und den Wecker auf 7.00 Uhr gestellt habe, kann ich endlich duschen - eine Wohltat! Danach lege ich mich für vier Stunden schlafen. Das Bett ist gefedert wie ein Straßenkreuzer, es dauert eine Weile, bis ich mich daran gewöhnt habe und einschlafe.

Plötzlich stört mich ein nervendes Geräusch - sollte das etwa schon der Wecker sein? Tatsächlich, diese Nacht war wirklich kurz.

Nachdem ich aufgestanden bin, sehe ich zuerst aus dem Fenster. Es geht nach hinten hinaus. Wenn ich den Himmel sehen will, muß ich ganz nach oben blicken. Rechter Hand ein Wolkenkratzer mit der schon etwas verblaßten Aufschrift »Canadian Fruit Company«. In diesem Moment wird es mir so richtig bewußt: das ist mein erster Morgen in Amerika, mein erster Morgen in New York... zum Seitenanfang


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